Strom anstatt Kerzen und Petrolium

 

Heimatgeschichte von Willy Schoch
In der Gemeinde gingen 1910 die Lichter an
Carl Johann Gruber der Tüftler von der Stockmühle
Verkauf der Versorgungseinrichtung an das Badenwerk

Ein Leben ohne Strom – heute unvorstellbar. In dunklen Stuben flackerten zuletzt noch Petroliumlampen, ehe 1910 Carl Johann Gruber für elektrisches Licht in den Haushalten und Straßen des Dorfes Schenkenzell sorgte.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Beleuchtung in den Wohnhäusern und Höfen von Schenkenzell weder sauber, praktisch noch modern. Zurückblickend war es der Öltigel. Ihm folgte um 1860 die Sterinkerze. Diese Neuerung feierten die Bürger damals mit einem „Lichtfest“ in den Gasthöfen. Nach Jahren kam dann die Ablösung durch die Petroliumlampe.
 
Das erste elektrische Licht leuchtete erstmals 1908 in Schenkenzell und zwar in der Stockmühle. Der Eigentümer der Stockmühle Franz Gruber (1831 – 1933) war Müller und Bürgermeister der Gemeinde Schenkenzell von 1903 bis 1925.  Er hatte einen Sohn Carl Johann Gruber (1887 – 1972), der in der Gemeinde nur der „Jean“ genannt wurde.

Carl Johann Gruber
(1887 – 1972)

Dieser erlernte zuerst im elterlichen Betrieb das Müllerhandwerk. Doch es zeigte sich bald, dass sein Herz und sein Erfindergeist weniger der Mühle, sondern mehr der Elektrotechnik verschrieben war.
 
 
Plötzlich ist im Wohnzimmer elektrisches Licht an
Die Theorie eignete er sich durch Lehrbücher an, während er in seinem Kämmerlein diese Theorie in die Praxis umzusetzen versuchte.
Als sein Vater nachts von einer Gemeinderatssitzung nach Hause kam,
war die Überraschung groß. Im Wohnzimmer fand er elektrisches Licht vor. Seine Augen glänzten. Die Experimentierkunst seines Sohnes hatte Erfolg. Bewunderung kam im Dorf auf. Stockmüller Gruber förderte fortan seinen Sohn und ließ ihn eine Ausbildung in der Elektrobranche machen.

Das Gewann Stockmühle um 1925
In der Mitte das Wohn- und Ökonomiegebäude mit Wasserkraftanlage und Kinzig

Die Mahlmühle in der Stockmühle wurde mit Wasserkraft betrieben. Ein oberschlächtiges Wasserrad versorgt mit Wasser aus der Kinzig. Mit dieser Wasserkraft, einem starken Gleichstrom-Dynamo unter Zuhilfenahme einer Akkumulatorenbatterie, eingebaut durch eine Esslinger Maschinenfabrik, war er für eine Stromlieferung gerüstet.

Die Bürger im Dorf wurden wissensdurstig. Im August 1909 fand im „Sonnen-Saal“ ein Informationsabend statt. Das Interesse daran war sehr groß. Zuvor wurden Anmeldebogen für Hausanschlüsse ausgeteilt.

Stromlieferungsvertrag vom 24.09.1910

Im Juni 1910 war es dann soweit. Mit der Gemeinde Schenkenzell war die Firma Johann Gruber zur Stockmühle recht schnell einig und schloss einen Stromlieferungsvertrag mit einer Laufzeit von fünfzehn Jahren ab.
Anstelle von Kerzen und Petrolium trat der Gleichstrom. Gruber stellte Arbeitskräfte ein und begann mit dem Ausbau des Stromnetzes.
Strom als reiner Lichtspender. Andere elektrische Gerätschaften gab es damals ja noch nicht. Wenn man einer Umfrage der französischen Militärregierung im Jahre 1945 Glauben schenken darf, gab es nur einen Haushalt im Ort mit einem Elektroherd.
 
Bald waren es vierzig Stromabnehmer. Licht in allen Räumlichkeiten. Ausleuchtung der Ortsstraße, wenngleich die Anzahl der Straßenlampen anfangs mit 10 sehr gering war, auf den ganzen Ort verteilt.
Zug um Zug wurde das Ortsnetz erweitert. Damit stieg auch der Strombedarf. Zusammen mit dem Stockhofbauer Josef Huber errichtete „Jean“ Gruber 1924 eine weitere Wasserkraftanlage mit einer Leistung von110 PS im Gewann Stock. Rund zehn Jahre später folgte der Bau eines Sägewerkes auf dem Hausgrundstück.
 
Selbst in der Nachbargemeinde Kaltbrunn wusste er seine damaligen Kenntnisse und Fähigkeiten zu nutzen und baute im Rinkenbach, beim Hanselesbauernhof und beim Gasthaus „Linde“ Hausanlagen zur Stromerzeugung.
 
 
Zahnarzt klagt über Stromschwankungen
 

Die Stromqualität war über all die Jahre nicht immer gerade die Beste. Dies hing natürlich auch mit dem Wasserangebot der Kinzig zusammen. So führte Zahnarzt Dr. Rolf Zielaskowski Klage über plötzliche Stromunterbrechungen bzw. Stromschwanken. Damit sei er bei der Behandlung der Patienten in seiner Arbeit gehemmt. „Jean“ Gruber erwiderte: „Dann soll er seine Tretbohrmaschine eben einsetzen“.
Für die „Kaufmann-Marie“ waren die Gleichstrom-Freileitungen recht wertvoll. Ganz unkompliziert holte sie von dort ihren Strom zum Nulltarif für ihr „Höllengefährt“, die fahrbare Holzsäge.
 
 
Als Auflage muss ein Elektroherd im Haushalt in Betrieb genommen werden
 
Einen letzten Konzessionsvertrag schloss Gruber 1938 nochmals auf 25 Jahre mit der Gemeinde ab. Diesen Vertrag wollte und konnte er nicht mehr voll erfüllen. Im Alter von 68 Jahren verkaufte er die Stromversorgung für die Gemeinde an die Badenwerk AG, nachdem das Dorf und teilweise auch die Außenbereiche zwischenzeitlich mit Strom versorgt waren. Das Badenwerk trat in den Vertrag ein und übernahm dann den Restausbau.
 
Unter dem Badenwerk-Slogan „Strom kommt sowieso ins Haus, nutz das aus!“ wurden die Stromabnehmer, vor allem aber die Hausfrauen, animiert, „bisher unerfüllbare Wünsche sich verwirklichen zu lassen“.
 
Die letzten Versorgungsleitungen wurden dann 1963 im Egenbach, im Kaibach und auf der Staig verlegt mit der Auflage: „Einen Elektroherd in Betrieb zu nehmen“.
Noch hatte „Jean“ Gruber die Stockmühle, die Wasserkraftanlagen und das große Wiesengrundstück in der Talaue. Die Familie war kinderlos.
Im Jahre 1959 verkaufte er sein gesamtes Areal Zug um Zug an die damals noch in Alpirsbach ansässige Tuchfabrik Marggraff zur Industrieansiedlung.

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